Offener Brief

Forderung als Abgeordnete an Ihre Regierung, den Vorschlag Ungarns abzulehnen, der Grundrechte im digitalen Raum untergraben wird

09.10.24 –

Statement, Tobias B. Bacherle, MdB

Liebe Abgeordnete, Liebe Kolleginnen und Kollegen,

am 24. September 2024 hat die ungarische EU-Ratspräsidentschaft einen weiteren Versuch unternommen, mithilfe eines neuen Kompromissvorschlags im Ausschuss der Ständigen Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten (AStV) einen Konsens über die höchst umstrittene CSA-Verordnung (Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung von Vorschriften zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern) herzustellen.

Ich möchte klar und deutlich sagen: Es muss unsere gemeinsame Priorität sein, die sexualisierte Gewalt  und sexuelle Ausbeutung von Kindern zu bekämpfen und zu verhindern. Der vorliegende Verordnungsentwurf enthält einige wichtige Elemente zur Bekämpfung von sexualisierter Gewalt an Kindern im digitalen Raum. Diese Verordnung würde jedoch das Ende der Vertraulichkeit der privaten Kommunikation bedeuten. Wir müssen unsere gemeinsamen Anstrengungen dringlichst verstärken und zusammenarbeiten, um diese abscheulichen Verbrechen zu bekämpfen. Aber wir dürfen nicht zulassen, dass diese gute und dringend notwendige Sache als Mittel zum Zweck genutzt wird, um unsere grundlegenden digitalen Rechte still und heimlich zu beseitigen.

Ihre Regierung zählt zu den Ländern, die diesen aktuellen problematischen Gesetzesvorschlag unterstützen. Vor dem Hintergrund der Menschenrechte, die auf dem Spiel stehen, bitte ich Sie als Abgeordnete, Ihre Regierung über ihre Position zu befragen und Sie nachdrücklich aufzufordern, auf EU-Ebene gegen diesen Vorschlag zu stimmen.

Worum geht es in unserem Kampf?

Abgesehen davon, dass wir Gefahr laufen, das Ziel der CSA-Verordnung zu torpedieren, indem wir in die digitale Selbstbestimmung derjenigen Menschen eingreifen, die durch den Vorschlag geschützt werden sollen, könnte wird der Vorschlag zu verschiedene ungewollte, aber gefährliche Auswirkungen führen: 

  • Durch Client-Side-Scanning (CSS) und weitere Massenüberwachungsmaßnahmen könnten  vertrauliche Informationsträger*innen nicht mehr ihrer Arbeit nachgehen: Das CSS würde Nutzerinnen und Nutzer betreffen, die von vertraulicher Kommunikation abhängen und deren Kommunikation besonders geschützt werden muss (Personen, die beruflich an Vertraulichkeit gebunden sind, z.B. Journalist*innen, Anwält*innen, Mediziner*innen, aber auch Whistleblower*innen und wir als Abgeordnete). Darüber hinaus könnten eingebaute Hintertüren die Vertraulichkeit digital übertragener Geschäftsgeheimnisse und geschäftlicher Transaktionen aushebeln. Verschlüsselung schützt die Identität und Inhalte der Kommunikationsteilnehmenden und bewahrt so die Eigenständigkeit von Betroffenen sexualisierter Gewalt.
  • Eine demokratische Gesellschaft und die demokratische Debatte brauchen vertrauenswürdige Räume: Demokratische Gesellschaften brauchen Privatsphäre für die Willens- und Meinungsbildung. Die vorgeschlagenen Maßnahmen bergen die Gefahr, dass es zur Selbstzensur kommt, wodurch sichere Räume für Kinder und Betroffene sexualisierter Gewalt, aber auch für alle anderen Nutzenden gefährdet wären. Besonders schutzwürdige politische Räume geraten so in Gefahr. Dies wird sehr wahrscheinlich auch dazu führen, dass Nutzende digitale Dienste nicht mehr nutzen werden und das Vertrauen in die Anbieter verlieren, wenn ihre Daten nicht sicher und geschützt sind. Eine Blaupause für autoritäre Staaten und die Schwächung der Cybersicherheit: Eine Architektur aufzubauen, die in der Lage ist, sämtliche Möglichkeiten der privaten digitalen Kommunikation zu unterminieren und zu schließen, könnte unbeabsichtigt dazu führen, dass die Verordnung als Blaupause für Überwachung in autoritären Staaten genutzt wird. Gleichzeitig kann diese Architektur ebenso als eingebaute Hintertür fungieren, die problemlos für alle Arten von Überwachungspraktiken (z.B. in Bezug auf Geschäftsgeheimnisse) und von Cyberkriminellen in Europa ausgenutzt werden könnte. Ist sie erstmal aufgebaut, öffnet diese IT-Architektur der Unterminierung der Privatsphäre Tür und Tor. 
  • Einschränkungen für digitale Bildungs-, Jugend- und Unterstützungsdienste: Die Verordnung beseitigt die gängige Praxis, wichtige Informationen über sexuelle Gesundheit auszutauschen, wie es in manchen europäischen Ländern längst der Fall ist. 

Die verpflichtende, anlasslose Überwachung privater Nachrichten birgt die Gefahr, dass ein prinzipielles Klima des Generalverdachts geschaffen wird. Ein solcher Ansatz wird dem Image der Europäischen Union als Garant der Freiheit irreparablen Schaden zufügen. 

Auch wenn die spanische, belgische und aktuell die ungarische Ratspräsidentschaft Kompromissentwürfe vorgelegt haben, bleibt die Hauptgefahr bestehen: Nach wie vor sollen Dienstleister private, unverschlüsselte sowie verschlüsselte Inhalte sämtlicher Nutzerinnen und Nutzer anlasslos durchsuchen. Es liegt auf der Hand, dass das Durchsuchen von Inhalten vor der Verschlüsselung auf allen Geräten, wie es beim Client-Side-Scanning der Fall ist, den Sinn und Zweck einer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung komplett abschaffen würde. Zugleich ist der technische Stand der aktuellen Aufdeckungstechnologien  immanent fehleranfällig und würde eine Welle falscher Verdachtsfälle auslösen. Signal, Wire und Threema haben angekündigt, dass sie sich eher vom europäischen Markt zurückziehen als die Sicherheit ihrer Messenger-Dienste zunichtemachen würden.

Sichere und verschlüsselte Kommunikation ist von grundlegender Bedeutung für alle Menschen und stellt ein wesentliches digitales Recht dar. Deshalb haben etliche Organisationen und Institutionen, darunter 348 Personen aus Wissenschaft und Forschung, der niederländische Nachrichtendienst, das EDRi-Netzwerk und über 80 Abgeordnete aus verschiedenen EU-Mitgliedstaaten vor diesem Vorschlag gewarnt.

Als Abgeordneter eines nationalen Parlaments bin ich der Überzeugung, dass es unsere, die von unseren Bürgerinnen und Bürgern übertragene Verantwortung ist, unsere Regierungen an die Bedeutung der digitalen Grundrechte aller Bürger*innen zu erinnern, sowie die Position unserer Regierungen zu hinterfragen und zu kontrollieren, wenn sie erwägen, dem aktuellen Verordnungsvorschlag zuzustimmen.

Ich bitte Sie höflichst, sich uns in diesem Kampf anzuschließen und Ihre Regierung über ihr Abstimmungsverhalten zur CSA-Verordnung zu befragen.

Darüber hinaus freuen wir uns über eine Rückmeldung, falls Sie Interesse haben, sich unserem offenen Brief von über 80 nationalen und europäischen Abgeordneten gegen den sogenannten Chatkontrolle-Vorschlag anzuschließen:

Bei Rückfragen oder Hinweisen können Sie sich gern per E-Mail an mich wenden: tobias.bacherle@bundestag.de.

Mit freundlichen Grüßen

Tobias B. Bacherle

Kategorie

2024 | Tobias B. Bacherle, MdB

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